Früher wurden Insekten auf der ganzen Welt gegessen, denn sie kommen überall als natürliche Ressource vor. Heute beschränkt sich der Verzehr von Insekten hauptsächlich auf bestimmte Länder und Regionen, darunter Länder in Afrika, Südostasien und Südamerika. Woran liegt das? Welche Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass sie in einigen Regionen weiterhin eine wichtige Nahrungsquelle darstellen, wohingegen sie in manchen Gegenden sogar Ekel hervorrufen? Und vielleicht noch interessanter: Können wir den Ekel vor Insekten überwinden und uns daran gewöhnen, sie zu essen?
Die Domestizierung von Säugetieren und Pflanzen verdrängt Insekten vom Speiseplan
Die Domestizierung von Pflanzen und Säugetieren erfolgte vor tausenden von Jahren in unterschiedlichen Gegenden der Erde, unter anderem in China, Mesoamerika, den südamerikanischen Anden, dem Nildelta im Norden Ägyptens und dem „Fruchtbaren Halbmond“, der sich vom persischen Golf über Syrien, dem Libanon, Israel, Palästina und Jordanien erstreckt. Sie führte aufgrund der sicheren Versorgung mit Nahrungsmitteln zu starkem Bevölkerungswachstum.
Domestiziert wurden Säugetiere, die auch in Gefangenschaft ein ruhiges Verhalten und die Fähigkeit zur Fortpflanzung aufwiesen und zudem mit einfachen Mitteln zu füttern waren. Neben dem Fleisch wurden die Milch, das Fell, das Leder und die Wolle der Tiere verwendet. Einige Tiere unterstützten zudem als Zugtiere die Landwirtschaft.
Die steigende Produktivität und Effektivität führte zu einer stabilen Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, so dass sich der Lebensstil zugunsten des Ackerbaus und der Viehzucht veränderte. Andere Lebensmittel, unter ihnen viele andere Säugetiere, Pflanzenarten und auch Insekten, verloren an Bedeutung. Die Nähe zur Natur verringerte sich. Die einzige Hochkultur, die eine hohe Bevölkerungsdichte ohne die Domestizierung großer Säugetiere erzielte, waren die Azteken in Mexiko. Sie kultivierten stattdessen Insekten und deren Eier und nutzten diese als Proteinquelle.
Von der Region des „Fruchtbaren Halbmonds“ aus – auch als Wiege der Zivilisation bezeichnet – verbreiteten sich die Domestizierung und die Agrikultur nach Europa. Dort verschaffte sie den Menschen einen Vorteil gegenüber anderen Regionen, da sie über mehr Nahrung und stabilere Nahrungsquellen verfügten. Die Kolonialisierung wiederum trug dazu bei, dass ihre fortgeschrittenen Kenntnisse in Ackerbau und Viehzucht in weite Teile der Erde verstreut wurden und dort wahrscheinlich die Kultivierung von Insekten verdrängten.
Die Wahrnehmung von Insekten wandelt sich aufgrund der fortschreitenden Verstädterung und des Ackerbaus
Da die Nähe zur Natur durch Ackerbau und Viehzucht immer weiter verloren ging, wurden frühe Formen der Nahrungsbeschaffung sowie der Verzehr bestimmter Lebensmittel – unter anderem von Insekten – mit primitivem Verhalten assoziiert. Aufgrund der fortschreitenden Verstädterung wurden Insekten zudem zunehmend als Ungeziefer wahrgenommen, da sie Lebensmittel befielen und Überträger von vielen Krankheiten waren.
Monokulturen im Ackerbau führten zu einem Ungleichgewicht in der Natur, so dass sich bestimmte Insektenarten durch das Vorhandensein von Nahrung im Überfluss stark vermehren konnten und nicht in ausreichender Zahl von ihren natürlichen Feinden dezimiert wurden. Somit wurden diese Insekten zur Plage und werden seither als Schädlinge für Lebensmittel betrachtet.
Im frühen Christentum wurden Insekten noch gegessen
Der Verzehr von Insekten war in der Antike und im frühen Christentum noch üblich, wofür es Belege in zahlreichen heiligen Schriften wie der Bibel oder dem Koran und auch in vielen Schriften Gelehrter gibt. Zu Zeiten der Kolonialisierung war dies aufgrund der beschriebenen Entwicklungen in Kultur und Lebensweise bereits kaum noch verbreitet. Die Kolonialisten gaben ihre Abneigung gegen Insekten auch an die Einwohner der Kolonien weiter. Es gibt Belege, dass zum Christentum konvertierte Menschen in tropischen Regionen den Verzehr von Insekten vehement als unchristlich ablehnen.
Vergebliche Versuche, Insekten wieder populär zu machen
Dennoch gab es im Laufe der Geschichte einige vergebliche Vorstöße fortschrittlicher Pioniere, das „Image“ von Insekten zu verbessern und sie wieder auf den Speiseplan zu bringen. In den USA erschien 1885 ein Buch mit dem Namen „Why not eat Insects“, geschrieben vom englischen Entomologen V.M. Holt. In seinem Buch führt er essbare Arten und deren Zubereitungsarten auf und bemerkt auch die Vereinbarkeit des Verzehrs von Insekten mit den viktorianischen Moralvorstellungen. Bereits ein paar Jahre zuvor kommt Amerikas führender Entomologe Charles Valentine Riley zu dem Schluss, dass die in den Rocky Mountains wütende Heuschreckenplage schlicht durch den Verzehr der Heuschrecken zu lösen wäre. Beide hatten keinen Erfolg.
Im Jahr 2004 kommen Christopher Carr und Edward Joshua, beide vom Department of Primary Industries in New South Wales, Australien auf die Idee, die dortige Heuschreckenplage mit dem Verzehr der Insekten zu lösen. Sie geben den Heuschrecken kurzerhand den Namen „Sky Prawns“ und schreiben das Kochbuch „Cooking with Sky-prawns“ (BBC, 2004). Ebenfalls mit mäßigem Erfolg.
Unser Ekel vor Insekten ist unbegründet
Es gibt auch aus unserer Zeit einige Belege über den Verzehr von Insekten. Soldaten beispielsweise sollen sich in den beiden Weltkriegen mitunter von Insekten ernährt haben. Bis Mitte des 20 Jahrhunderts wurde in Europa, zumindest in Frankreich und Deutschland, Maikäfersuppe gegessen. Heute sind Insekten nahezu vollständig vom Speiseplan verschwunden. Die Abneigung und damit der Ekel vor Insekten haben sich immer weiter manifestiert, und heute können wir uns kaum noch vorstellen, dass dieser Ekel früher nicht existierte.
Unsere grundsätzliche Ablehnung gegenüber dem Verzehr von Insekten hat seinen Ursprung also in der kulturellen und religiösen Entwicklung. Mit dem Nahrungsmittel an sich hat der Ekel kaum etwas zu tun. Dass einige Arten aufgrund der Verstädterung und anderen Faktoren zu Krankheitsüberträgern wurden, bedeutet ja nicht, dass Insekten per se nicht mehr konsumiert werden sollten. Kultur beeinflusst also sehr stark, was wir essen und was nicht – angeboren ist uns diese Abneigung nicht.
Überwindung unserer Abneigung gegen Insekten
Klar – wenn es sonst keine Alternativen gibt, sind wir bestimmt dazu bereit, Insekten zu essen. Das ist heute aber zum Glück noch nicht der Fall. Wenn es also ausreichend Lebensmittel gibt, können wir uns dennoch daran gewöhnen, Insekten zu essen? Was ist erforderlich, damit wir unsere Abneigung gegen Insekten überwinden können? Um dieser spannenden Frage nachzugehen habe ich nicht nur recherchiert, sondern meine eigenen Grenzen in einem Insektenkochkurs getestet. Was dabei herausgekommen ist könnt ihr hier nachlesen.
Unsere Abneigung gegen Insekten ist nicht angeboren
Die größte Hürde bei der Einführung von Insekten als Nahrungsmittel in westlichen Ländern dürfte unsere Abneigung ihnen gegenüber sein. Diese Abneigung ist aber zum Glück nicht angeboren, sondern nur anerzogen. Das können wir relativ einfach erkennen: In anderen Regionen der Erde werden Insekten gerne gegessen, manche Arten gelten sogar als Delikatesse. Ekel oder Berührungsängste vor Insekten gibt es dort nicht. Wir können also unsere Abneigung überwinden und nächste Generationen an das Essen von Insekten gewöhnen. Bei Kindern ist der Ekel noch nicht ausgebildet, sie sind zudem neugierig und offener als Erwachsene. Somit sind sie eher bereit, Insekten zu probieren.
Aufklärungsarbeit und Zugang zu Produkten notwendig
Aber auch Erwachsene, die aufgeschlossen und experimentierfreudig sind oder Wert auf eine gesunde und nachhaltige Ernährung legen, können sich an das Essen von Insekten gewöhnen. Einer Studie des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR) zufolge wären viele bereit, Insekten zu probieren, wenn der Zugang zu Informationen und Produkten einfacher wäre. Was fehlt, sind Informationen zu essbaren Arten und deren Nährstoffgehalt, zu Zubereitungsarten und Aufzuchtmethoden und zur Unbedenklichkeit hinsichtlich möglicher Schadstoffe. Die FAO und andere Organisationen sind jetzt gefordert, Aufklärungsarbeit zu leisten und die Vorzüge des Verzehrs von Insekten aufzuzeigen. Unternehmer sind gefordert, Insekten und Produkte daraus verfügbar zu machen.
Wir können uns an Insekten gewöhnen
Sehen wir uns die Geschichte an, wurden immer wieder fremdartige Lebensmittel in den Speiseplan integriert, sofern das Potential erkannt wurde. Vor 30 Jahren wäre es in Europa beispielsweise nicht vorstellbar gewesen, Sushi zu essen. Auch hier war vorrangig der Ekel vor rohem Fisch stark verbreitet – wir wissen, dass roher Fisch Gefahren für die Gesundheit birgt. Heute ist Sushi nicht mehr weg zu denken. Das Gleiche könnte in einigen Jahren auch für Insekten gelten.
Weiterführende Informationen
Schmecken darf alles, aber nicht jedem (über das Essen in verschiedenen Kulturen – inklusive Quiz)
Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema Insekten essen habe ich euch unter Insekten FAQ zusammengetragen.
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